Musikalische Einstimmung auf die Passion

Herne. Am Palmsonntag (24. März) in der Christuskirche an der Wiescherstraße und am Karfreitag zur Todesstunde Jesu in der Kreuzkirche am Europaplatz hat das Rhein-Herne-Quartett mit Gisela Röbbelen, Elisabeth Kronen (Violine), Barbara Ravenstein-Holländer (Viola) und Bernhard Schwarz (Violoncello) „Die sieben letzten Worte Jesu am Kreuz“ von Joseph Haydn aufgeführt. Der Komposition zugrunde liegt die so genannte „Tres Horas“, eine Zusammenstellung der letzten Worte des Gekreuzigten aus den Passionsgeschichten der vier Evangelien, gesprochen in den letzten drei Stunden auf Golgatha. Haydn, schon zu Lebzeiten in Spanien populär, hat für den Kompositionsauftrag aus Cadiz zunächst eine Orchesterfassung komponiert, uraufgeführt dort 1787, später selbst wegen der hohen Nachfrage eine Fassung für Streichquartett und eine zur Aufführung als Oratorium angefertigt.

Jesu Worte aus den Passionsgeschichten herauszulösen, geht auf eine im 12./ 13. Jahrhundert bei den Zisterziensermönchen entstandene Literaturgattung zurück (Septenartraktate), die später mit dem im 17. Jahrhundert entstandenen Brauch verbunden wurde, die letzten drei Stunden von Jesu Leiden als Gläubige mitzuerleben. Eine wichtige Rolle fiel dann auch dem Raum der Aufführung zu: So fanden sie in Cadiz in einer nur durch Kerzen erleuchteten dunklen Grotte statt, um die Einsamkeit Jesu begreifbar zu machen.

Bei der Umsetzung seines Auftrags berücksichtigte Haydn die besonderen Möglichkeiten der Musik für Meditation und Textausdeutung. So komponierte er für jedes der sieben Jesu-Worte einen langsamen Satz, benutzte aber nur für die Sätze 1 („Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“), 4 und 7 („Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände“) die Bezeichnung „Largo“, worunter sehr intensives Spielen verstanden wird, um die Besonderheit von Jesu Gebet herauszustellen. Das Getrenntsein von Gott, das so erschütternd in Jesu viertem Wort zum Ausdruck kommt („Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“), verdeutlicht er mit dem Dreiertakt, der im Unterschied zum Vierertakt die Unvollkommenheit ausdrückt. Und im 3. Satz („Noch heute wirst du mit mir im Paradies sein“) wählte er die himmlische Tonart E-Dur als Hinweis auf das Paradies.

Was nur zu hören ist, wenn der Text wie früher auf Lateinisch verlesen wird, ist die sich an der Sprache orientierenden Motivik Haydns, mit der die sieben Sätze durchzogen sind. In jedem Satz hat Haydn Rhythmus und Sprachmelodie des zugrundeliegenden lateinischen Wortes in musikalische Motive umgesetzt, sodass sich alle sieben Sätze trotz des einheitlichen Tempos voneinander unterscheiden.  

Als letztes Musikstück nach Jesu Tod ertönt ein erschütterndes Erdbeben („Terremoto“), nachdem der Vorhang des Tempels zerrissen (Matthäus 27, 51-53), Lautmalerei pur.

Beide Aufführungen waren ganz schlicht gehalten: Vor jedem der sieben Streichquartett-Sätze wurden von Kirchenmusikerin Kerstin Heppener (Christuskirche) bzw. Pfarrerin Melanie Jansen (Kreuzkirche) die sieben Bibelstellen verlese. Die Musik regte zum Nachdenken und -fühlen an. Eine gelungene, ergreifende Einstimmung auf das Passionsgeschehen und den Karfreitag.