Die Pandemie wirkt sich verzögert aus

HERNE. Die Schuldnerberatung des Kirchenkreises Herne hat ihren Jahresbericht 2021 vorgelegt. Mit der Überschuldungsrate von 16,82 Prozent belegt Herne nach wie vor bundesweit einen Platz in der Spitzengruppe, auch wenn die Quote gegenüber 2020 (18,21 Prozent) zurückgegangen ist. Geschäftsführerin Andrea Leyk hat auch Zweifel an einem positiven Trend, denn auch wenn pandemiebedingte Überschuldungen infolge Insolvenz oder Kurzarbeit noch nicht zu einem Anstieg der Beratungsfälle geführt haben, geht sie davon aus, dass das kommen wird, wenn staatliche Hilfen verbraucht sind oder die Raten für Überbrückungskredite nicht bezahlt werden können. „Es kann zwei Jahre bis nach der Kreditaufnahme dauern, bis die Menschen in die Beratung kommen, weil nichts mehr geht“, sagt sie.

Auch die Beratungstätigkeit wurde durch Corona vor Probleme gestellt. „Schuldnerberatung versteht sich als Soziale Arbeit, in der das persönliche Gespräch Grundlage einer erfolgreichen Beratung ist“, so Leyk. Während im ersten Lockdown Beratungsgespräche telefonisch oder online geführt wurden, kommen die Klienten jetzt wieder in die Beratungsstelle im Kreiskirchenamt – unter Einhaltung strenger Infektionsschutzregeln.

Insgesamt sind in Deutschland 6,16 Millionen Bürgerinnen und Bürger über 18 Jahren überschuldet – also knapp neun Prozent der Bevölkerung. In Herne ist die Quote fast doppelt so hoch: Beinah jeder sechste ist hier so hoch verschuldet, dass er seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen kann. Die Höhe der Gesamtverschuldung der 767 beratenen Klienten (317 Frauen, 450 Männer) der Schuldnerberatung betrug 2021 knapp 16 Millionen Euro, was einer durchschnittlichen Verschuldung von knapp 24000 Euro entspricht. Die Mitarbeitenden haben für die Verfahren dieser Personen mit über 10000 Gläubigern Kontakt aufgenommen.

In den genannten 767 Betreuungen sind 107 Beratungen zum Pfändungsschutzkonto enthalten. Das Pfändungsschutzkonto (kurz: P-Konto) ist das Girokonto einer natürlichen Person in Deutschland, das wie alle anderen Konten auch durch Gläubiger pfändbar ist. Geschützt bleibt aber ein monatlicher pfändungsfreier Betrag in Höhe von knapp 1200 Euro. Damit bleibt dem Schuldner das Existenzminimum und ermöglicht ihm den bargeldlosen Zahlungsverkehr. „Das P-Konto ist ein unentbehrliches Instrument für die Grundsicherung von überschuldeten Menschen“, sagt Andrea Leyk.

„Die Ursachen für eine Überschuldung sind vielfältig – und nur in den wenigsten Fällen selbstverschuldet“, so Leyk, die als „big six“ Arbeitslosigkeit, Erkrankung, Trennung, unwirtschaftliche Haushaltsführung, gescheiterte Selbstständigkeit und längerfristiges Niedrigeinkommen nennt. Das Niedrigeinkommen habe vor einigen Jahren noch kaum eine Rolle gespielt, in den letzten Jahren nehme die Zahle dieser Fälle stetig zu. AR