Das Gebet als erster kirchlicher Impuls

RUHRGEBIET – Zu seiner Pfarrkonferenz am 25. Februar hatte der Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid Professor Dr. Traugott Jähnichen von der evangelisch-theologischen Fakultät der Ruhruniversität Bochum zu Gast. Jähnichen hielt ein Referat zum Thema „Qualifiziertes Schweigen? – Welche Impulse können die Kirchen in der Corona-Pandemie vermitteln?“ Zu diesem aktuellen Thema waren auch die Theologinnen und Theologen aus anderen Ruhrgebietskirchenkreise eingeladen.

Auffällig sei auf der einen Seite das diakonische Engagement, das aber öffentlich kaum als kirchliches Handeln wahrgenommen werde, und auf der anderen Seite Sprachlosigkeit und das Fehlen von theologischen Deutungsperspektiven. Auch das gemeinsame Wort der katholischen, evangelischen und orthodoxen Kirche in Deutschland „Beistand, Trost und Hoffnung“ vom März 2020 sei geprägt von einer „theologischen Formelsprache“, die eine Deutung vermissen lasse. Stattdessen vermeide sie mit der Abweisung von menschlicher Schuld, der damit verbundenen Vergewisserung, die Krankheit sei keine Strafe Gottes und der Rede vom leidenden und ohnmächtigen Gott eine kritische Auseinandersetzung beispielsweise über einen Zusammenhang unserer Lebensweise und der weltweiten Ausbreitung des Virus. Darüber hinaus fehle eine deutliche Vermittlung von „Trost im Leben und im Sterben“. Die Aussetzung von Präsenz-Gottesdiensten und vielfach verschobene Amtshandlungen haben für Jähnichen unabsehbare Folgen. So stellte er die Frage in den virtuellen Raum, ob all die verschobenen Taufen je nachgeholt werden.

In seinen Überlegungen zu angemessenen kirchlichen Impulsen nannte Jähnichen zunächst das Gebet. Dazu gehöre die Klage über das derzeitige Leid anstelle eines stummen Hinnehmens der Pandemie, wie es die Psalmen lehren, ebenso wie Fürbitte oder Dank und Lob – etwa für die Erfolge der Medizin oder die schnelle Entwicklung eines Impfstoffs. „So wie wir beten, so reden wir indirekt über Gott, weil wir ihm etwas zutrauen“, sagte Jähnichen. Des Weiteren sei es an den Kirchen, einen Diskurs anzustoßen über den Umgang mit Fehlern und Schuld. „Schuld zu bekennen, auch angesichts eigener Versäumnisse etwa gegenüber den Menschen, die in ihrer Not allein gelassen wurden, verbunden mit der Bitte um Vergebung ist genuin christlich.“ Auch eine angemessene öffentliche Trauerkultur zu entwickeln und die Perspektive der Gerechtigkeit etwa angesichts der weltweiten (ungerechten) Verteilung des Impfstoffs ins Gespräch zu bringen seien Aufgaben der Kirchen.

Schon jetzt müsse es innerkirchlich darum gehen, den „Neustart“ des gemeindlichen Lebens zu organisieren. Die Fastenzeit biete sich an, die Leiderfahrungen zu thematisieren. Gleichwohl gehe es nicht darum, nach der Pandemie weiterzumachen wie vorher, sondern nach der Zäsur neue Akzente zu setzen, zum Beispiel durch eine „nachgehende Seelsorge“, Impulse in der Jugendarbeit oder das Feiern von Tauffesten. AR