Das Fremde als Herausforderung

HERNE – Verschiedene Gründe führen dazu, dass Menschen ihre vertraute Umgebung verlassen oder verlieren. Die Menschen der Bibel verlassen ihre Heimat aus Hunger und Armut, um des Glaubens willen oder wegen Krieg und Verfolgung – ähnlich wie heute. Menschsein heißt offensichtlich immer wieder aufbrechen unterwegs sein – mehr oder wenig freiwillig. Bis hin zu dem Gedanken, dass wir Gläubigen hier in der Welt keine bleibende Stadt haben, sondern die zukünftige suchen (Hebräer 13,14). Als Christen sollen wir immer wieder aufbrechen, die eigenen Überzeugungen überprüfen, immer wieder in die Fremde gehen – selber fremd sein – uns von der Welt unterscheiden.

Für die bestehenden Gemeinden vor Ort sind Fremde immer auch eine Herausforderung: „Die da kommen, singen andere Lieder, falten die Hände anders, kennen, lieben, beherzigen und betonen andere Heilige Schriften, andere Traditionen.“ Pfarrerin Katharina Henke warf die Frage auf, wieviel Sichtbarkeit die Einheimischen den Fremden erlauben? Sie erinnerte an die Konflikte zwischen den christlichen Konfessionen: In evangelischer Umgebung durften die Katholiken nur außerhalb der Stadt bauen (Hamburg) oder keinen Glockenturm errichten (Zürich). In lutherischer Umgebung durfte die reformierte Kirche nur wie ein Wohnhaus aussehen (Lübeck). In Köln mussten die Evangelischen auf er anderen Rheinseite bauen. Auch im Ruhrgebiet habe es Spannungen gegeben – noch vor wenigen Jahren – als durch den Bergbau Katholiken ins evangelische Herne zogen. Wer denke da nicht an heutige Auseinandersetzungen um Moscheebauten, Kopftuch, Kippa und Kreuz. Die eigene Sichtbarkeit fordere immer andere heraus. Wer im eigenen Glauben, in seiner Identität unsicher sei, reagiere möglicherweise aggressiv auf sichtbare Zeichen der anderen Religion.

Die islamische Theologin und Politikwissenschaftlerin Nigar Yardim berichtete anschaulich vom eigenen Wachsen und Lernen in der Fremde. „Gastarbeiter wurden geduldet als Arbeiter und Zuschauer – Einsprüche oder der Wunsch nach Mitgestaltung stießen und stoßen oft auf Ablehnung“, sagte sie. Als ihr Vater vor Jahren beim Kirchentag eine Rede halten sollte, räumte er ihre Bedenken beiseite: „Dieses Gelände gehört nicht den Deutschen – jedes Land ist Gottes Land – fürchte Dich nicht.“ Es sei urmenschlich, allem Neuen mit Ängsten und Ablehnung zu begegnen. Viele Menschen verhalten sich in der neuen Umgebung deutlich konservativer als in der alten Heimat, meinte sie auf die Frage nach den Zugezogenen aus der Türkei.

Dr. Michael Rosenkranz von der jüdischen Gemeinde erinnerte daran, dass Juden in Deutschland erst im 19. Jahrhundert bürgerliche Rechte erhielten, sich zeigen und engagieren durften. Den gegenwärtig aufflammenden Antisemitismus nehme er mit Unbehagen wahr. Besonders bei Juden aus der ehemaligen Sowjetunion – und das ist die Mehrzahl der Juden in Deutschland – sorge jeder Angriff für Panik. Der biblische Glaube an den mitziehenden Gott sei eine große Hilfe für alle, die unterwegs sind. KH