„Biblische Gerechtigkeitsidee führt in die Solidarität“

„Testfall der Bibeltreue – Kirche und LGBT“ hieß das Thema der letzten Pfarrkonferenz im Kirchenkreis Herne. Mit Dr. Thorsten Dietz, Professor für Systematische Theologie an der Evangelischen Hochschule Tabor in Marburg, war ein Referent mit Herner Vergangenheit zu Gast – Dietz war als Pfarrer im Entsendungsdienst einige Jahre in Castrop-Rauxel tätig.
Zu Beginn seines Vortrags stellte er den Konflikt um die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften vor. Auf der einen Seite werde auf einschlägige Bibelstellen verwiesen, in denen gleichgeschlechtliche Sexualität verurteilt werde. Der Mensch sei zweigeschlechtlich geschaffen und zu Ehe und Familie bestimmt. Insofern stelle jede Abkehr von diesem Menschenbild die Autorität der Bibel in Frage. Homosexualität sei eine Abweichung von der Norm, und es gebe die Möglichkeit der „Heilung“. Gegen diese Haltung werde die darin begründete Ausgrenzung und Verfolgung homosexueller Menschen verurteilt. Auch gehören die Sexualität und somit auch die Anlage zur gleichgeschlechtlichen Liebe konstitutiv zum Menschen. Sie sei kein Defekt und dementsprechend auch nicht änderbar. „Die heutigen Differenzen“, so Dietz, „sind solche, dass einige glauben, die ‚liberalen‘ Christen gingen zu weit – während andere den ‚konservativen‘ Christen vorwerfen, nicht weit genug zu gehen.“

Dietz setzte in seiner Bewertung bei den biblischen Texten an, indem er sie zunächst in ihren zeitgeschichtlichen Horizont stellte. Es sei festzuhalten, dass homosexuelles Verhalten in der Zeit der Abfassung der biblischen Texte keine Frage der sexuellen Orientierung, sondern des sozialen Status‘ sei. „Freie Männer können aktiven Sex haben mit Frauen, Jünglingen, Sklaven oder Prostituierten“, sagte er. „Die Frage einer gleichgeschlechtlichen Orientierung spielt in keiner einzigen ethischen Diskussion in der Antike eine Rolle.“ Die Kritik an homosexuellem Verhalten etwa von Paulus beziehe sich also auf Formen sexuellen Verhaltens, die in Abhängigkeitsverhältnissen (etwa mit Sklaven), mit hoher Altersdifferenz („Lustknaben“) und in hoher Promiskuität ausgeübt wurden. Eine auf Beständigkeit angelegte Liebesbeziehung gleichgeschlechtlicher Partner sei in der Bibel an keiner Stelle im Blick. „Insofern ist eine Übertragung neutestamentlicher Lasterkataloge auf gleichberechtigte homosexuelle Partnerschaften nicht möglich“, so Dietz. Insofern sei es ein Fehler, biblische Texte zu einer Frage heranzuziehen, die sich den Autoren so nicht gestellt habe.

Eine ethische Bewertung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften sei nach den Kriterien Gerechtigkeit und Liebe vorzunehmen, so Dietz. Auch wenn die Ehe von Mann und Frau das Leitbild christlicher Ethik wäre, „widerspricht es dem biblischen Maßstab von Gerechtigkeit, dieses Leitbild zur Abwertung von Menschen mit anderer sexuellen Orientierung zu verwenden“, sagte er. „Gerade die biblische Gerechtigkeitsidee führt stets in die Solidarität mit den Ausgegrenzten." Das biblische Liebesgebot zeige in dieselbe Richtung: Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses (Römer 13), durch die Liebe diene einer dem anderen (Galater 5) – und: „Sieht jemand seinen Bruder darben und schließt sein Herz vor ihm zu, wie bleibt dann die Liebe Gottes in ihm?“ (1. Johannes 3)

„Weitgehend unumstritten ist heute, dass alle Kirchen in dieser Frage eine gemeinsame Schuldgeschichte haben“, stellte Thorsten Dietz mit Blick auf die innerkirchliche Diskussion fest. „Es geht darum, im Gespräch zu bleiben und miteinander zu lernen.“ Dieses Gespräch nahmen die Herner Pfarrerinnen und Pfarrer in einer abschließenden Diskussionsrunde auf. Abgeschlossen soll es damit nicht sein. AR