Betroffene sollen gezielt angesprochen werden

Wanne-Eickel. Seit Beginn des Jahres 2021 hat die Beratungsstelle im Zeppelin-Zentrum ein weiteres Aufgabenfeld. Die durch Mittel des Landes NRW und des Europäischen Sozialfonds geförderte Einrichtung berät neben Erwerbslosen, prekär Beschäftigten und von Armut Betroffenen nun auch Menschen, die in ausbeuterischen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Dies geschieht in Kooperation mit dem Arbeitslosenzentrum Herne e.V. der Katholischen Kirche.
Einerseits erfordert dieses neue Aufgabenfeld Kenntnisse zu Arbeitsrecht, Freizügigkeitsrecht oder Ausländerrecht, die durch Weiterbildungen erworben werden. Da viele Betroffene aus dem südosteuropäischen Sprachraum kommen, sind entsprechende Sprachkenntnisse bzw. Kooperationen mit „Sprachmittlern“ von Nöten. „Die größte Herausforderung ist aber, Kontakt zu den Menschen zu bekommen, die in ausbeuterischen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten“, sagt Dagmar Spangenberg-Mades. Viele von ihnen wurden in ihren Heimatländern für die Arbeit in Deutschland beispielsweise in der Schlachtindustrie geworben. Andere arbeiten in Pflege, oder Gastronomie, als Erntehelfer oder im Bau- und Reinigungsgewerbe. Die Menschen hoffen auf ein besseres Leben für sich und ihre Familien, die in ihren Heimatländern oft in menschenunwürdigen Verhältnissen leben. In Deutschland angekommen, stellen sie häufig fest, dass Arbeitsbedingungen, Lohn und Unterbringung nicht mit den Versprechungen übereinstimmen. Trotzdem bleiben sie meist in diesen ausbeuterischen Beschäftigungsverhältnissen, weil sie befürchten, dass sie sonst keine neue Beschäftigung in Deutschland finden und gezwungen sind, wieder in die Heimat zurückkehren zu müssen. Die Möglichkeit, Sozialleistungen zu beziehen, ist für diese Menschen weitestgehend ausgeschlossen. Außerdem bedeutet das Einfordern von gerechten Arbeitsbedingungen Mut und Selbstvertrauen gegen einen gut organisierten Arbeitgeber, der seine Mitarbeiter oft auch durch ein System von „Vorarbeitern“ kontrolliert.
Um Betroffene auf dieses neue Angebot der Beratungsstelle aufmerksam zu machen, arbeitet die Beratungsstelle mit Einrichtungen der Stadt Herne eng zusammen. Außerdem wird in mehrsprachigen Flyern über das neue Angebot informiert. Zukünftig sollen in Kooperation mit Gewerkschaften und anderen Akteuren mögliche Betroffene an ihren Wohnorten oder Arbeitsstätten sowie auf Parkplätze, wo LKW-Fahrer ihre Ruhepausen machen, gezielt aufgesucht werden.
Die Inhalte der Sozialberatung im Zeppelin-Zentrum haben sich seit dem Beginn der Pandemie verändert. „Mit Ausbruch von Corona überwogen die Fälle, in denen es um Aufstockungen oder den Bezug von Arbeitslosengeld II nach Arbeitsplatzverlust ging“, berichtet Dagmar Spangenberg-Mades. „Außerdem wurde der sogenannte Vereinfachte Antrag im SGB II eingeführt, der keine Vermögensprüfung vorsieht und auch Unterkunftskosten oberhalb der Angemessenheitsgrenze zulässt.“ Seit Ende des letzten Jahres sei es Realität, dass Antragstellern der Zugang zum Leistungsbezug verwehrt wird, beklagt die Zeppelin-Leiterin. „Betroffen sind vor allem Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen in Beschäftigung, die aufstocken müssen – darunter oft Alleinerziehende –, Menschen, die Schwierigkeiten haben, die komplexen Anschreiben der Behörde zu verstehen und besonders auch Menschen mit psychischen Erkrankungen, die dem Anforderungsdruck nicht mehr standhalten können.“ Erschwerend komme hinzu, dass wegen Corona ein persönlicher Kontakt zum Jobcenter nicht möglich sei. Immer wieder komme es vor, dass Unterlagen mehrfach angefordert werden. Dann werde auf fehlende und irrelevante Unterlagen verwiesen, um den Leistungsbezug zu verwehren. Oder es werden kurze Fristen gesetzt, um Meldebescheinigungen, Arbeitsbescheinigungen oder Energielieferungsabrechnungen anzufordern. „Am Ende dieses ‚Forderungsmarathons‘ steht neuerdings nicht selten ein Versagungsbescheid, der Leistungsansprüche für die Vergangenheit ausschließt, falls die Klienten nicht zeitnah Widerspruch einlegen“, so Spangenberg-Mades. „Dann besteht kein Krankenversicherungsschutz, es entstehen Miet-, Energie- und andere Schulden, nicht selten droht Obdachlosigkeit.“ Für die Leiterin des Zeppelin-Zentrums wird manchen ihrer Klienten so das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Leben verwehrt – „und das hat einen weitaus höheren Stellenwert als ein eventueller Rückzahlungsanspruch auf Leistungen des Jobcenters.“ DSM