„Es gibt auch ein Recht auf Exklusion"


#Nachgefragt. Inklusion gehört zu unserem kirchlichen Auftrag, ist doch jeder Mensch - unabhängig von seinen Begabungen, Handicaps, Hautfarbe etc. - nach biblischem Verständnis als Gottes Ebenbild geschaffen. Zum Thema „Inklusion“ haben wir eine kleine Interviewreihe gestartet. Den Anfang macht Gilbert Krüger, Inklusionsbeauftragter des Kirchenkreises Herne. Gilbert Krüger ist 35 Jahre alt, arbeitet im Pflegedienst und ist verantwortlich für den Bereich „Persönliche Assistenz“. Seit März 2021 ist er in Iserlohn beim Gemeinschaftsdienst Kinder, Jugend und Familie e. V. tätig - ein großer Träger der Jugend- und Eingliederungshilfe. Laut- und Leise-Gottesdienst, Inklusiver Gottesdienst, Bibelkreis „Gott und die Welt“ für Menschen mit so genannter geistiger Behinderung, inklusiver Sinnespark, der nach Corona starten wird, sind einige Beispiele seiner Arbeit, die über den Innovationsfond „TeamGeist“ der Evangelischen Kirche von Westfalen mit rund 32000 Euro honoriert wurde. Gilbert Krüger sitzt selbst im Rollstuhl. Infantile Cerebralparese lautet seine Diagnose. Dabei handelt es sich frühkindliche Schädigung des Bewegungszentrums im Gehirn aufgrund einer Sauerstoffunterversorgung.

UNSERE KIRCHE: Herr Krüger, wie sind Sie zum (christlichen) Glauben gekommen?
Es waren viele Menschen. Schon in meinem Elternhaus spielte der Glaube eine große Rolle, es ging nach dem Konfirmandenunterricht mit einer fast typischen Laufbahn in der Jugendarbeit weiter, wo der damalige Gemeindepfarrer mich geprägt hat. Dann war es mein Religionslehrer, den ich seit vielen Jahren zu meinen Freunden zähle. Es folgte mein Kollege in meiner ersten Arbeitsstelle und nun ist ein Beispiel meine beste Freundin.

UK: Gibt es eine Bibelstelle, die Ihnen etwas bedeutet?
Krüger: Mein Tauf- und Konfirmationsspruch ist auch unser Familienspruch.
Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit. Jesaja 41, 10

UK: Haben Sie manchmal, wenn Sie mit Behinderung konfrontiert werden, Zweifel im Glauben (gehabt)?
Krüger: Die so genannte Theodizee-Frage – die Frage nach dem Leid – beschäftigt alle Menschen mehr oder weniger. Als Mensch mit Behinderung bin ich häufiger mit dieser Frage konfrontiert und bekomme manchmal Zweifel. Aber nur durch Zweifel, kommt man zum Staunen.

UK: Wie bewerten Sie den Zusammenhang von Sünde und Krankheit/ Behinderung?
Krüger: Dass Gottesbild, wo Krankheit und Behinderung Strafen sind, teile ich nicht. Sünde bedeutet jedoch ein Entfernt sein von Gott und mich ihm nah fühlen und mich gesund fühlen sind nah beieinander.

UK: Welche Barrieren erleben Sie und wie gehen Sie damit um?
Krüger: Da ich im Rollstuhl sitze, sind es oft Barrieren, wie Treppenstufen oder hohe Kanten. Manchmal ist es die Trägheit der Herzen, die Menschen unachtsam macht und häufig sind es Vorurteile von Menschen.

UK: Haben Sie durch Ihren Glauben einen anderen Blick auf Inklusion?
Krüger: Inklusion schenkt uns die Chance, an die eigene Haltung als Christenmenschen erinnert zu werden, denn Nichts, ist so inkludierend, wie das christliche Menschenbild.

UK: Ist Ihre Arbeit wirklich inklusiv oder machen Sie nicht doch nur Behindertenarbeit?
Krüger: Behindertenarbeit und Inklusion schließen sich nicht aus. Man kann das eine tun und das andere nicht lassen. Ein Problem ist auch, dass an unsere Arbeit häufig der Anspruch erhoben wird, inklusiv zu sein. Aber es gibt auch ein Recht auf Exklusion. Bei der Frauenhilfe fragt man nicht, weshalb die nur für Frauen ist oder bei einem Jugendgottesdienst nicht, weshalb er exklusiv für Jugendliche ist, doch alles für Menschen mit Behinderung soll inklusiv sein – warum?

UK sagt „Vielen Dank!“