„Der Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen fehlt“

#Nachgefragt. In loser Reihe fragen wir verschiedene Menschen nach ihrer Meinung zu Corona, den Maßnahmen und den Folgen. Zuletzt hat Katja Jähnel Stellung genommen. Katja Jähnel ist Diplom Philosophin und Diplom Sozialwirtin (FH) und bereits seit 1993 im Eine Welt Zentrum Herne in der Beratung von Flüchtlingen und Opfern von Menschenhandel tätig. Wir wollten von ihr wissen, wie sich die Corona-Krise auf ihren Arbeitsalltag ausgewirkt hat.

Unsere Kirche: Frau Jähnel, Sie arbeiten in der Flüchtlingsberatung und in der Beratungsstelle für Menschenhandel. Können Sie kurz beschreiben, wie ihr Arbeitsalltag aussieht?
Jähnel: Mit meiner 30 Stunden-Stelle, aufgeteilt in 10 Stunden in der Flüchtlingsarbeit und 20 Stunden in der Arbeit mit Opfern von Menschenhandel ist es ein ständiger Spagat, um allen Anforderungen gerecht zu werden. Noch vor einem Jahr hatten wir anderthalb Stellen in der Flüchtlingsarbeit, jetzt teilen wir uns eine halbe Stelle. Mein Arbeitsalltag wird dominiert durch viele Telefonate und E-Mails, viele Beratungsgespräche und viel Recherche, um Lösungen zu suchen und Hilfeangebote zu vermitteln. Hinzu kommen Vernetzungsarbeit, Arbeitstreffen, Veranstaltungen und Fortbildungen in beiden Bereichen, Öffentlichkeitsarbeit, aber auch das Berichtswesen und Statistik sowie die Mitarbeit im Team des Eine-Welt-Zentrums. Ich arbeite in beiden Bereichen jeweils mit einer Kollegin direkt zusammen, da muss man sich absprechen und gegenseitig vertreten können.  Es ist also ein bunter Strauß an jedem Tag, der gut sortiert und arrangiert werden will, das aber ist auch das Spannende in meiner Arbeit.

UK: Wenn man in einem Beratungszentrum arbeitet und persönliche Kontakte unterbleiben oder reduziert werden müssen – wie läuft dann eine Sprechstunde ab? Kommen die Klienten zu Ihnen oder sind Beratungen nur per Telefon und Videokonferenz möglich?
Jähnel: Es gab da einen Lernprozess, ein langsames Herantasten an neue Möglichkeiten oder die Rückkehr zu althergebrachten Methoden.
Natürlich kann man einiges per Telefon klären. Aber das ist häufig mühselig. Die Klienten schicken ihre Post per Mail zu, ich lese sie durch und versuche Klärung herbeizuführen. Bei vielen Anliegen geht das. Aber wenn es um persönliche Dinge geht, wenn Ruhe und Vertrauen spürbar sein müssen, um sich zu öffnen, dann ist ein Gespräch im Büro nicht zu ersetzen. Beratungen per Video sind technisch für unsere Klienten nicht umsetzbar, daher haben wir sehr schnell im ersten Lockdown ein Beratungszimmer hergerichtet. Wir haben genaue Vorschriften für Hygiene und Sicherheit erarbeitet und kommuniziert. Nun sitze ich hinter einer Scheibenwand mit Mundschutz, die Klienten mir gegenüber, auch mit Mundschutz, und wir lassen das Fenster in der Regel geöffnet. Die Klienten sind vorbildlich, halten sich strikt an alle Regeln.
Ich habe mich arrangiert mit Homeoffice und regelmäßigen wenigen Anwesenheitstagen. Aus dem Beratungsteam ist immer jemand im Büro, so kann auf kurzem Dienstweg letztlich täglich auch reagiert werden. An Anwesenheitstagen im Büro habe ich dann zwar mitunter 4-5 Gespräche hintereinander, aber weitere Recherche und Bearbeitung können im Homeoffice erfolgen. Parallel hat auch meine Tochter seit Monaten nunmehr zu Hause ihren Online-Unterricht und anschließend täglich ihre Lernpakete zu bearbeiten. Sie benötigt viel Unterstützung und Begleitung, da muss ich sehr auf Struktur achten, um alles erledigen zu können.

UK: Können Sie an einem Beispiel erläutern, wie sich Ihre Arbeit seit Corona verändert hat?
Jähnel: Ich habe da gleich mehrere Beispiele im Kopf. Und das sind zumeist wirklich positive Erfahrungen!
Fortbildungen und Arbeitstreffen online finde ich persönlich eine prima Lösung, denn es spart Fahrerei und Zeit. Ich genieße es mitunter (besonders bei Treffen am Samstagen!), wenn ich nicht schon früh weg muss, um pünktlich um 9 irgendwo zu sitzen, sondern mich erst um kurz vor neun einloggen kann. Da hoffe ich doch sehr, dass davon auch hinterher etwas bleibt. Nicht immer muss man sich persönlich treffen! Im Blick auf Umwelt und Effizienz der Arbeit haben wir hier notgedrungen neue Ufer erreicht. Das ist gut! Wie heißt es doch so schön im „Glasperlenspiel“ von Hesse ?!: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,…“ sowie an anderer Stelle: “Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.“ So hat die Pandemie in ihrer Brutalität auch Neues bewirkt und hervorgebracht. Das zeigt, der Mensch kann eine Pandemie bezwingen, nicht die Pandemie ihn. Hieraus schöpfe ich Kraft und Hoffnungen auf Zukünftiges, und es stärkt gleichzeitig meinen Glauben.
Die Begleitung von Klienten zu Ämtern hat sich sehr positiv verändert, ist viel weniger zeitaufwändig und läuft durch feste Termine reibungsloser. Früher saß man mitunter stundenlang auf Fluren von Ämtern, jetzt gibt es kaum noch Wartezeiten. Selten wurde man früher zurückgerufen, wenn man eine Anfrage gestellt hatte, jetzt lassen Telefonate oder Mails nicht lange auf sich warten. Die Kooperation und Zusammenarbeit mit den Behörden ist wirklich erstaunlich gut geworden.
Was ich jedoch sehr vermisse, ist der direkte Kontakt zu meinen langjährigen KollegInnen. Sei es der kurze Schwatz an der Kaffeemaschine oder auch die kollegiale Beratung zwischendurch bei schwierigen Themen oder Klienten, das ist online und telefonisch doch nur bedingt möglich. Da fehlt ein bisschen die Heiterkeit in der Arbeit, die einen aufbaut und stützt.

UK: Mit welchen Fragen kommen Beratungssuchende vorwiegend? Haben sich Probleme und Sorgen, mit denen die Menschen zu Ihnen kommen, in der Corona-Pandemie verändert?
Jähnel: Die inhaltlichen aufenthaltsrechtlichen und sozialrechtlichen Probleme unserer Klienten im Asylverfahren wie auch die Nachfragen der vielen ehrenamtlichen HelferInnen unserer KlientInnen haben sich nicht verändert, eher ihre Sorgen und Nöte hinsichtlich der Familien in der Heimat oder anderen Flüchtlingslagern sind noch größer geworden. Familienzusammenführung ist derzeit schwer machbar. Viele Klienten haben ihre Jobs durch die Pandemie verloren und können die Angehörigen nicht mehr unterstützen.
Im Bereich Menschenhandel haben wir derzeit große Probleme Opfer, die ebenfalls schwer identifizierbar und tiefer in der Illegalität beziehungsweise im Verborgenen arbeiten als vor Corona, geschützt und sicher unterzubringen. Die Frauenhäuser sind fast immer belegt und die Pensionen und kleinen Hotels geschlossen. Mitunter bleibt dann nur der Weg ins Asylverfahren.

UK: Was sollte die Gesellschaft aus der Corona-Krise lernen? Gibt es aus Ihrer Sicht etwas, das sich nachhaltig ändern muss?
Jähnel: Es gibt da wohl die kleinen und die großen Dinge. Im Kleinen sollte jeden und jede von uns die Pandemie gelehrt haben, dass wir nicht der Nabel der Welt sind, dass wir ein kleines Rad im Gesamtgetriebe sind und ebenso angreifbar und verletzlich wie Menschen am anderen Ende der Welt, Menschen mit und ohne Bildung, arm oder reich. Religionszugehörigkeiten spielen ebenso wenig eine Rolle wie Hautfarbe und soziale Stellung. Nur in einem gesunden sozialen Umgang miteinander werden wir gemeinsam die Situation ändern. Sozialkompetenz ist wieder mehr gefragt. Das Fremde ist nicht das Böse, das Fremde wird zum eigenen, wenn wir es zulassen. Verantwortung füreinander anstatt Rassismus und Ausgrenzung, das ist vor allem in Bezug auf meine Arbeit so wichtig. Sich nicht orientieren an den wenigen, die Deutschland als Umschlagplatz für kriminelle Taten nutzen, sondern an den vielen Menschen, die dankbar und froh sind, dass sie in Ruhe leben können, die sich einbringen wollen und einen festen Platz hier suchen. Krisenzeiten schüren Ängste und lassen Menschen anfällig werden für alle Theorien, die ihre Ängste untermauern.  Wir müssen aufpassen, dass diese Ängste nicht unsere Gesellschaft vergiften und Rassismus weiter forcieren.
Im Großen müssen wir aufhören, die Welt als unser Eigentum zu betrachten, sondern im Einklang mit ihr leben lernen. Wir müssen Naturgesetze achten und beachten, können nicht arrogant und gewissenlos alles außer Kraft setzen. Die Pandemie hat uns schmerzlich gezeigt, dass nichts auf Dauer folgenlos bleibt. Dennoch zeigt sie uns auch, dass der Mensch der Gestalter ist und bleibt. Die Chancen einer globalisierten Welt sind mindestens so groß wie die Gefahren. Es liegt an uns, die Chancen zu nutzen und mit vereinter Kraft an der Erhaltung der Welt für viele nachfolgende Generationen mitzuwirken.

UK sagt „Vielen Dank!“