Neue Formen nach stiller Trocknung

Herne. Unter dem Titel „sichtbar/unsichtbar“ zeigt die Kreuzkirche ab dem 17. Oktober ausgewählte Arbeiten des Herner Fotografen Daniel Kessen. Sie stammen aus unterschiedlichen Phasen fotografischer Auseinandersetzung mit dem Material Papier. Die Fotografien des Künstlers entspringen den unwiderruflichen Begegnungen zwischen Feuchte und Papier. „Wer schon einmal einen Brief im Regen liegen ließ, weiß um dessen Verletzlichkeit“, so Kessen. „Am Anfang ist da das leere, glatte Blatt, es weckt meine Neugier, verlangt Respekt. Schon die erste vorsichtige Berührung mit Wasser ist bedeutsam. Der Dialog beginnt. Wachheit ist gefragt. Manchmal entstehen anrührenden Weisen der Begegnung im Warten. Wasser verdunstet, stille Trocknung gibt neue Formen frei. Zu viel Eifer könnte wertvolle Nuancen, einen Schattenwurf, eine Stille zerknicken. Wie jeder Dialog ist auch dieser nicht vorhersehbar. In meiner Arbeit setze ich nicht auf Steuerbarkeit. Natürlich ist in den vielen Jahren meiner Auseinandersetzung mit dem Material so etwas wie Vertrautheit gewachsen, und ich weiß um Möglichkeiten der Berührung, in der sich Wertvolles entfalten kann. Aber zwingen lässt sich das Zarte nicht. Manchmal ergibt es sich bald, manchmal erst nach mehrtägigem Dialog mit einem winzigen Papierschnipsel. Plötzlich ist alles stimmig. Dann ist es Zeit, den Auslöser zu drücken. Nicht, dass ich nach diesem Bild gesucht hätte, es hat sich mir im liebevollen Dialog geschenkt.“

Die abgebildeten Objekte selbst können nicht einmal für kurze Zeit im jeweiligen Zustand ausgestellt werden – das Spiel von Licht, Wasser und Papier geht vonstatten. Die materialisierte Aufnahme wiederum ermöglicht neue Wahrnehmungshandlungen. Sichtbares tritt hervor aus Unsichtbarem. Kessen: „Ein Festhalten-Wollen allen Bewegt-Seins – ob in menschlichen Beziehungen oder in der Fotografie – bleibt innerer Widerspruch. Leben gelingt als Genese wechselnder Formen. Auch die Verletzlichkeit gründet in diesen wunderbaren Möglichkeiten.“

In der der Kirche nun findet die Ausstellung einen würdigen Platz. Gott antwortet im Alten Testament auf die Frage nach seinem Namen: JHWH. Übersetzungen wie „Ich bin, der ich bin“ oder „Ich werde sein, der ich sein werde“ betonen die Unverfügbarkeit eines Gottes, der sich im Sein vollzieht und in Begegnungen offenbart. „Auch solche Übersetzungsversuche bleiben Möglichkeiten, in ganz unterschiedlichen Weisen Gott zu begegnen“, sagt Kessen. „Auf eine handhabbare Bedeutung festlegen lässt er sich nicht. Gott, Schöpfung und Mitmensch bleiben unverfügbar. Aus Widersprüchen, Brüchen und Überraschungen speist sich unser Leben.“ Die Kreuzkirche inmitten des innerstädtischen Trubels will den Menschen also in den nächsten Wochen eine Oase sein, in der sich die stillen Arbeiten von Daniel Kessen behutsam entfalten können.

Die Eröffnung findet statt am 17. Oktober um 19 Uhr im Anschluss an den Pluszeichen-Gottesdienst um 18 Uhr in der Kreuzkirche am Europaplatz in Herne. Für die Teilnahme gilt hier die 3G-Regel. Die Ausstellung ist geöffnet vom 17. Oktober bis zum 12. Dezember, dienstags und donnerstags von 16 bis 18 Uhr sowie sonntags nach den Gottesdiensten. Am Samstag, 6. November, von 11 bis 12.30 Uhr erläutert der Künstler bei einer Kirchenführung seine Werke.