Herne. Am 27. Mai hat in der Herner Volkshochschule vorerst zum letzten Mal ein interreligiöses Gespräch zwischen Vertretern von Judentum, Christentum und Islam stattgefunden. Dagmar Vogel, Leiterin der Volkshochschule Herne, bedankte sich zu Beginn der Veranstaltung bei Pfarrerin i.R. Katharina Henke, der Islambeauftragten des Kirchenkreises Herne, und Dr. Michael Rosenkranz von der Jüdischen Gemeinde Bochum-Herne-Hattingen für ihr langjähriges Engagement. Immer wieder haben Sie sich an wichtige Themen gewagt und An- und Verknüpfungspunkte zwischen den Religionen gesucht und gefunden“, sagte sie. „In all den Jahren haben Sie damit viele Menschen erreicht, für Toleranz und Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften in Herne geworben und ein lebendiges Zeichen gesetzt.“
In der letzten Ausgabe diskutierten Henke, Rosenkranz und Hüseyin Inam auf dem Podium über die Zukunft der Religionen. „Die Welt ist im Umbruch – und auch unsere religiösen Welten sind im Wandel“, sagte Henke. „Die Frage nach Gott ist eine andere geworden; der Glaube, die selbstverständlichen Traditionen und Überzeugungen unserer Kindheit haben sich verändert und entwickelt.“ Sie selbst – Jahrgang 1959 – berichtete von ihrer christlichen Sozialisation in einer Zeit, da Evangelisch- oder Katholisch-Sein selbstverständlich gewesen sei. „In den 1960er Jahren, als Millionen Arbeitskräfte aus dem Osten nach Deutschland kamen, wurden Kirchen gebaut.“ Die Kirchen seien Lebensbegleiterinnen und geistliche Heimat gewesen. Die Identifikation mit der eigenen Konfession sei so weit gegangen, dass es Auseinandersetzungen auf Schulhöfen oder zwischen Nachbarn gegeben habe. „Konfessionsverschiedene Hochzeiten sorgten in Familien für große Konflikte.“
Dr. Michael Rosenkranz, 1948 geborener Sohn eines polnischen Juden, der die Shoah überlebt hatte, und einer protestantischen Mutter, die zum Judentum konvertiert war, erzählte über sein Aufwachsen in einer frommen jüdischen Familie. Bis heute gebe es im Judentum vier Strömungen – die orthodoxe Strömung, in der die biblischen Vorgaben möglichst genau umgesetzt würden, die konservative Strömung, die im Unterschied zur orthodoxen die Geschlechtertrennung aufgehoben habe, die liberale Strömung, die Synagogengottesdienste in der jeweiligen Landessprache feiert, Rabbinerinnen ordiniert und Instrumentalmusik zuließ und die progressive Strömung, in der beispielsweise bestimmte Texte des Talmuds nicht gelesen werden. „Nach der Shoah waren wir in Deutschland nurmehr so wenige, dass wir uns zu einer ‚Einheitsgemeinde‘ zusammenraufen mussten“, so Rosenkranz.
Hüseyin Inam erzählte von seiner Kindheit mit fünf Brüdern und sehr strengen Eltern. Seine religiöse Erziehung habe er in Millî Görüş erhalten, einer Gemeinschaft mit islamistischen Tendenzen. „Ich stand dieser Bewegung mit den Jahren immer skeptischer gegenüber, habe nach Erkenntnis gesucht“, so Inam. In seiner Gemeinde sei er fortan gemobbt worden. Heute stehe er für eine „vernünftige Religiosität“ – er lese den Koran historisch-kritisch, ohne dabei den Glauben zu verlieren.
Im Anschluss an diese Berichte beteiligten sich die Besucherinnen und Besucher bei der Diskussion um die Frage wie die Zukunft der „Religiösen Welt“ aussehen könnte. Es sei gerade heute nötig, über den Glauben zu sprechen und ihn vorzuleben. „Nichts, was wir haben, ist selbstverständlich“, betonte Dr. Rosenkranz. „Insofern ist Dankbarkeit ein Ausdruck des Glaubens.“ Eine Besucherin erzählte, sie fühle sich oft nicht gesehen. „Wenn ich in einen Gottesdienst gehe, wo mich niemand kennt, werde ich nicht angesprochen oder begrüßt“, sagte sie. „Das ist in freikirchlichen Gemeinden ganz anders. Ein Besucher meinte, dass es in Zeiten des Rückgangs besonders wichtig sei, sich über das zu vergewissern, was die Menschen vor Ort in Herne und Wanne-Eickel von ihrer jeweiligen Religionsgemeinschaft erwarte. Nach zwei Stunden lebhafter Diskussion beendete Katharina Henke das Gespräch, das die rund 20 Besucherinnen und Besucher mit vielen neuen Denkanstößen verließen. Sie versprach, dass das Interreligiöse Gespräch mit dem Ende des Veranstaltungsformats nicht beendet sei. „Wir werden andere Formen des Austauschs finden“ versprach sie. AR
- Dagmar Vogel bedankte sich mit Blumen bei Pfarrerin i.R. Katharina Henke und Dr. Michael Rosenkranz für ihr Engagement im Interreligiösen Dialog. 2. von rechts: Hüseyin Inam, Vertreter des Islam und häufiger Gesprächspartner.
- Viermal im Jahr gab es ein Interreligiöses Gespräch zu einem bestimmten Thema, an dem sich jeweils 20 bis 40 Besucherinnen und Besucher beteiligt haben. FOTOS: ARND RÖBBELEN