Herne. Das Ausstellungsevent „Hingeschaut: Zugezogene Frauen in Herne im Fokus“ präsentierte die berührenden Portraitzeichnungen von Locuratolo, die am 30. August im Info-Café Blickwinkel in Herne ausgestellt und an die Projektbeteiligten vergeben wurden. Entstanden sind die Werke im Rahmen des wöchentlich stattfindenden Frühstücks-Treffens für zugezogene Frauen in Herne, das vom Eine Welt Zentrum des Kirchenkreises Herne in Kooperation mit dem Info-Café Blickwinkel des Caritas Verbandes e.V. veranstaltet wird.
Seit März 2023 wird das Angebot von der kunstschaffenden Locuratolo als Fachkraft für Soziale Arbeit geleitet. Die Portraitzeichnungen, die Locu während der gemeinsamen Treffen angefertigt hat, sind Momentaufnahmen des Zusammenseins und spiegeln eindrücklich die Individualität der Frauen wieder, die auf ganz unterschiedliche Weise ihren Weg von Syrien, Eritrea, Äthiopien oder Albanien nach Herne gefunden haben. Dabei wird das Medium der Portraitzeichnung hier bewusst eingesetzt, um diese Vielfalt sichtbar zu machen und sie wertzuschätzen.
„Es ist eine schöne Erfahrung, genau hinzuschauen und den Menschen volle Aufmerksamkeit zu schenken“, so Locuratolo. „Die schnellen Skizzen, die für die Ausstellung entstanden sind, bieten eine wunderbare Gelegenheit, den Blick auf diese starken Frauen zu richten, die täglich Herausragendes leisten. Ich bin dankbar durch persönlichen Austausch, Unterstützung und künstlerischer Auseinandersetzung eine Gemeinschaft zu schaffen.”
Die Werke dienen als Brücke zwischenmenschlicher Erfahrung und sozialer Integration und eröffnen den portraitierten Frauen zudem die Möglichkeit, ihre eigene Identität in einer neuen Gemeinschaft zu definieren. Sie werden zu Instrumenten der Kommunikation, des Empowerments und des sozialen Wandels. Im Anschluss an die Ausstellung „Hingeschaut: Zugezogene Frauen in Herne im Fokus“ sind die Zeichnungen an die portraitierten Frauen übergeben worden.
Das wöchentliche Treffen im Info-Café Blickwinkel ist für die Frauen eine wichtige Anlaufstelle in Herne: Sie haben dort die Möglichkeit, in einem sicheren und urteilsfreien Umfeld die deutsche Sprache zu üben, erhalten aber auch fachliche Unterstützung bei Fragen zu Formularen, Behörden und Gesetzen. Neben behördlicher Überlastung sind die Frauen auch regelmäßig Opfer von Alltagsrassismus oder Sexismus. Das Frühstücks-Treffen eröffnet ihnen einen Raum, sich über diese Erfahrungen auszutauschen und sich gegenseitig zu unterstützen. Die Ausstellung möchte Locuratolo zum Anlass nehmen, diese Missstände auch in der Öffentlichkeit zu thematisieren, um den betroffenen Frauen eine Plattform zu bieten.
Ein neues Projekt wird sich mit Erfahrungen der Frauen mit den Behörden beschäftigen. Anknüpfungspunkte sind Berichte von Frauen, die anonym bleiben: „Die Ausländerbehörde ist unglaublich. Ich rufe an, bis zu 100mal am Tag. Warte 15 Minuten, es kommt jemand dran – und dann wird aufgelegt. Ich bleibe zurück mit Fragen: Wird mein Aufenthalt verlängert? Bekomme ich die Bescheinigung für das Jobcenter oder bleibt mein Geld aus?“
„Ich habe große Probleme mit dem Jobcenter. Seit drei Monaten bekomme ich kein Geld. Ich weiß nicht, warum. Ich rufe an, keiner nimmt ab. Wenn ich mit jemanden spreche, bekomme ich keine Auskunft. Unzählige E-Mails habe ich verschickt. Niemand will helfen. […] Für mich bleibt nichts – das ist auch egal. Wir essen vom Kindergeld und Unterhalt – der Rest geht an die Kinder – aber Miete. Ich möchte meine Miete zahlen.“
Vor diesem Hintergrund wird Locuratolo ab Oktober gemeinsam mit den Frauen ein neues Konzept für das Projekt entwickeln – weg vom Frühstücks-Treffen hin zu einem Ort, an dem sie gemeinsam künstlerisch zu Themen arbeiten können, die sie bewegen – das Gefühl der Auslieferung und Hilflosigkeit oder der Umgang mit alltäglicher Diskriminierung. Die Ergebnisse sollen im Sommer 2024 im Rahmen einer Ausstellung der Öffentlichkeit präsentiert werden.
Die kunstschaffende Person Locuratolo (Pronomen „they/ them“ oder Anrede mit Namen) widmet sich seit 2021 intensiv der Zeichnung und Malerei. Locus Projekte sind interdisziplinär, multimedial und dienen als Verbindungsstück zwischen verschiedenen Ebenen, um so auf Menschen, Orte oder Situationen aufmerksam zu machen. Locuratolo hat 2022 erfolgreich den Abschluss im Bereich ortsspezifischer Kunst und Zeichnung an der Royal Academy of Fine Arts in Antwerpen absolviert. Seit 2022 hat Locu ein Atelierstipendium bei FRÖBEL in Essen wie auch das Projektstipendium KunstKommunikation23 im DA Kunsthaus Kloster Gravenhorst in Hörstel inne. Die Arbeit im Eine Welt Zentrum in Herne (seit März 2023) ermöglicht es, Inhalte des Vorstudiums der Sozialen Arbeit und des Development Management künstlerisch miteinander zu verknüpfen.
Weitere Informationen gibt es unter www.locuratolo.de oder im Eine Welt Zentrum Herne, Telefon (02323) 994 97 -0/ -15, www.ewz-herne.de.