Herne. Die Gedenkfeier der Stadt Herne zum 80. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz ist am 27. Januar mit einer Schweigeminute zu Ende gegangen. Zuvor hatte Stadthistoriker Ralf Piorr durch ein Programm im voll besetzten Kulturzentrum geführt, in dem die Auschwitz-Überlebende Channa Birnfeld (1926-2014) das erste Wort hatte. In einem Ton-Dokument wurden Auszüge aus einem Interview abgespielt, in dem die gebürtige Hernerin von ihrer Ankunft in dem Vernichtungslager im Jahr 1944 berichtete. Von ihren Eltern habe sie sich nicht einmal mehr verabschieden können – sie wurden nach der „Selektion“ direkt ins Gas geschickt.
Channa Birnfeld kam 1946 zurück, verlies ihre Heimatstadt mit ihrem Mann 1959 in Richtung Hamburg, kam aber immer wieder nach Herne – nicht zuletzt, um an der Entwicklung des 2010 eingeweihten Shoah-Mahnmals auf dem Willi-Pohlmann-Platz mitzuwirken. Oberbürgermeister Dr. Frank Dudda war erfreut über die zahlreichen Gäste, die mit ihrem Kommen eine klare Haltung zeigten und ein wichtiges Signal setzten. „Aus der Geschichte zu lernen, bedeutet, nicht zu akzeptieren, wenn eine Minderheit die Demokratie angreift“, sagte er.
Der 7. Oktober 2023, als die Terrororganisation Hamas Israel angriff, habe die Angst jüdischer Menschen wiederbelebt, sagte Ralf Piorr, bevor in einem Filmbeitrag jüdische Stimmen zu Gehör kamen, die die Gruppe „Partnerschaft für Demokratie“ im letzten Jahr dokumentiert hatte. Hier betonten die Interviewten, dass zur Erinnerungskultur gehöre, dass alles getan werde, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. In diesem Sinne sprach auch Ilana, Vize-Präsidentin des jüdischen Studierendenverbandes.
Ein Höhepunkt der Veranstaltung im Kulturzentrum war der letzte Programmpunkt, in dem Hanneke Schmitz, 1942 im Exil in Amsterdam geboren, von ihren jüdischen Großeltern Max und Helene Elias berichtete, die bis 1933 an der Bahnhofstraße 111 in Herne gelebt und ein Geschäft betrieben hatten. Obwohl sie, wie auch andere Familienangehörige, von den Nationalsozialisten ermordet worden seien, sei sie mit ihren Eltern Gerda und Fritz Günzburger nach dem Krieg nach Herne zurückgekehrt. Zusammen mit ihrem Ehemann Peter begleiten sie seit fünf Jahren die islamische Gemeinde Röhlinghausen bei Gedenkveranstaltungen. In der Gemeinde hat das Paar mehrfach seine Familiengeschichte vorgetragen oder ist mit Mitgliedern der Gemeinde zu Gedenkstätten etwa in Bergen-Belsen gefahren. Am 7. Oktober 2023 habe sich die Islamische Gemeinde Röhlinghausen direkt von der Hamas distanziert. „Wir halten zusammen – jetzt erst recht“, betonte Peter Schmitz in einem emotionalen Statement, dem sich Hafsa Aydemir von der muslimischen Jugend Röhlinghausen anschloss: „In einer Zeit, in der Antisemitismus und Islamfeindlichkeit zunehmen, möchten wir betonen, dass unser Miteinander von jüdischen und muslimischen Menschen sowie Menschen aller Glaubensrichtungen der Schlüssel zu einer friedlichen Gesellschaft ist“, sagte sie. Umrahmt wurden die verschiedenen Beiträge durch Musik der Musikgruppe der jüdischen Gemeinde Bochum-Herne-Hattingen „Mischpocha“.
Nach der Gedenkfeier im Kulturzentrum ging es weiter vor der Shoah-Gedenkstätte mit Vertreterinnen und Vertreter von Judentum, Christentum und Islam – Rabbi Andrés Bruckner für die Jüdische Gemeinde Bochum-Herne-Hattingen, Pfarrer Dr. Niels Petrat für die Katholische Kirche in Herne, Superintendentin Claudia Reifenberger für die Evangelische Kirche in Herne und Nazim Ugur, der Vorsitzende der DITIB Moschee in Herne, die Gebete sprachen. Den Abschluss bildete das Lied „Shalom chaverim“ – vorgetragen vom Schulchor der Hiberniaschule. AR
FOTOS: ARND RÖBBELEN
- Von links: Rabbi Andrés Bruckner, OB Dr. Frank Dudda, Superintendentin Claudia Reifenberger, Hanefi Dursun und Pfarrer Dr. Niels Petrat.
- In einem Tondokument berichtete die Auschwitz-Überlebende Channa Birnfeld (1926-2014) von ihrer Ankunft in dem Vernichtungslager Auschwitz im Jahr 1944.
- Hanneke Schmitz (am Mikrofon) berichtete von ihren jüdischen Großeltern Max und Helene Elias. Mit ihr auf der Bühne waren Mitglieder der Islamischen Gemeinde Röhlinghausen mit ihrem Leiter Tuncay Nazik (links).