33 Jahre Kampf um das Land der Vorfahren

Castrop-Rauxel. Im März 2023 ist eine Gruppe von 30 jungen Erwachsenen aus dem Kirchenkreis Herne nach Israel und Palästina gereist, um die politische Situation kennen zu lernen und Menschen zu begegnen. Dabei waren sie für einige Stunden zu Gast bei dem palästinensischen Christen Daoud Nassar im „tent of nations“ auf seinem Grundstück in der Nähe von Bethlehem. Nun gab es ein Wiedersehen mit ihm bei einem Informationsabend in Dortmund, der vom Erwachsenenbildungswerk des Kirchenkreises und vom Oikos-Institut der EkvW veranstaltet wurde.

Daoud Nassar lebt mit seiner Familie auf dem Land seiner Vorfahren, einem Hügel von 42 Hektar in der Nähe von Bethlehem. Die Familie bewirtschaftet das Land, erntet Weizen, Äpfel, Aprikosen, Mandeln und Oliven. Ihr Besitz liegt im besetzten Westjordanland in einer sogenannten C-Zone, die vollständig unter israelischer Kontrolle ist. Auf den Hügeln ringsum wurden israelische Siedlungen gebaut. Die größte von ihnen hat 65000 Einwohner. Mit dem Bau von Straßen und dem Aufstellen von Wohnwagen rücken die Siedler immer näher an sein Grundstück heran und versuchen, auf seinem Land eine neue Siedlung zu errichten. Bereits 33 Jahre dauert sein juristischer Kampf, das Land behalten zu können. Er hat es in den letzten 20 Jahren zu einem internationalen Lern- und Begegnungsort, dem „tent of nations“ gemacht. Im Jahr 2022 waren 13000 Menschen bei ihm zu Gast. Freiwillige aus dem Ausland arbeiten mit ihm und seiner Familie auf dem Land. Die internationale Präsenz schützt ihn vor Übergriffen. Ohne sie hätte die Familie das Land längst aufgeben müssen.

Als seine Großeltern das Land 1916 kauften, taten sie damit etwas Ungewöhnliches. Sie ließen das Land bei den osmanischen Behörden registrieren und zahlten Steuern dafür. Daoud Nassar besitzt Dokumente aus osmanischer Zeit, aus der Zeit des englisches Mandates von 1917 bis 1947, aus der Zeit der Zugehörigkeit zu Jordanien bis 1967 und selbst aus der Zeit der Israelischen Besatzung. Sie alle weisen das Land als Familieneigentum aus. Trotzdem musste er das Land neu vermessen, um es eintragen zu können. Alle Nachbarn mussten ihm die Urkunde unterschreiben. Im Jahr 2023 bestätigte ein 95-jähriger Dorfbewohner als Augenzeuge vor Gericht seinen Eigentumsanspruch. Mit Unterstützung eines Anwaltes aus Jerusalem konnte er das Verfahren von den für die besetzten Gebiete zuständigen Militärgerichten vor den obersten israelischen Gerichtshof bringen. Doch der Ausgang ist fraglich.

Der Terroranschlag des 7. Oktober und der Krieg haben einen Erfolg in noch weitere Ferne gerückt. Immer wieder dringen Siedler in seine Plantagen ein und zerstören den Baumbestand. Es gilt das Gesetz: Wenn ein Palästinenser sein Land nicht mehr bewirtschaften kann, wird es zum Staatseigentum. Der Zugang zu seinem Grundstück ist seit Jahren mit Felsblöcken versperrt. Besucherinnen und Besucher nehmen einen langen Fußweg in Kauf, um zu ihm kommen zu können. Anfeindungen und Gewalt gehören zur Tagesordnung. Militär und Polizei unternehmen in der Regel nichts gegen die Übergriffe.

Daoud Nassar erklärt die christlichen Grundsätze seines Kampfes. „Wir weigern uns, Opfer zu sein. Wir versuchen, das Böse mit Gutem zu beantworten. Wir weigern uns, Feinde zu sein. Wir haben das Ziel eines friedlichen Zusammenlebens der Kulturen und Religionen vor Augen.“

Jedes Jahr treffen sich palästinensische Kinder aus Bethlehem zu einem Sommercamp auf dem Gelände. Kulturarbeit und Kreativwerkstätten stärken das Selbstbewusstsein palästinensischer Frauen. Kinder lernen ökologische Landwirtschaft kennen und entwickeln eine Beziehung zum Land. Für dieses Engagement ist Daoud Nassar mit internationalen Preisen geehrt worden, es unterstützt ihn vor Behörden und Gerichten.

Da die Familie auf dem Hügel nicht über Elektrizität und Trinkwasser verfügen darf, fangen sie Wasser in Zisternen auf und erzeugen Strom mit Solarpanelen selbst. Die Versammlungsorte auf dem Gelände stehen in der Tradition der alten, auf dem Gelände vorhandenen, Wohnhöhlen, da der Familie keine Baugenehmigungen ausgestellt werden. Fast alle palästinensischen Familien in ähnlicher Situation haben resigniert ihr Land verlassen. Die Nassars kämpfen nicht nur für sich, sondern auch für die Zukunft des Dorfes in der Nachbarschaft. Das Land und das Dorf sind eng miteinander verbunden.

Daoud Nassar sieht mit Sorge in die Zukunft. Durch den Krieg ist die militärische Präsenz rund um sein Land gestiegen. Die Hauptstraße, die das Land mit der Stadt Bethlehem verbindet, darf nur noch vom Militär benutzt werden. Wer zu ihm will, muss nun große Umwege in Kauf nehmen. Wenn die Mauer fertig gebaut ist, dann wird die ganze Zone mit allen israelischen Siedlungen vom Westjordanland abgeschnitten sein. Wer nach Bethlehem will, wird durch einen Checkpoint müssen. Es ist fraglich, ob die Sommercamps mit den Kindern dann weitergeführt werden können. Den Bedrohungen setzt Daoud Nassar seinen Glauben entgegen. „Ohne den Glauben an die Gerechtigkeit und die Menschenwürde, die uns Gott gegeben hat, wären wir schon lange am Ende.“

Um seine Familie in der bedrängenden Situation zu den Rücken zu stärken, haben Unterstützer in Deutschland einen Aufruf verfasst. Sie bitten darum, diesen Aufruf an Bundestagsabgeordnete und andere politische Mandatsträger weiterzuleiten. Der Aufruf steht unter www.oikos-institut.de/angebot/krieg-in-nahost/ zum Download zur Verfügung.