Die Arbeit des Zeppelin-Zentrums in Corona-Zeiten

Wanne-Eickel. In der „Vor-Corona-Zeit“ stellte die Arbeit des Stadtteilzentrums im Zeppelin-Zentrum einen unverzichtbaren Part der Arbeit der Einrichtung dar. Die hauptsächlich von Ehrenamtlichen getragene Arbeit ergänzte die Angebote der Beratungsstelle. Einerseits fanden über die niederschwelligen Begegnungsangebote Klienten überhaupt erst ihren Weg in die Beratungsstelle, andererseits fanden deren Klienten auch oftmals den Weg ins Zentrum mit dessen Angeboten.

Die Angebote des Zentrums wie Mittagstisch, Kleiderkammer, Begegnungen in Gruppen konnten mit Ausbruch der Corona-Pandemie nicht oder nicht in der gewohnten Form aufrechterhalten werden. Aber die Ehrenamtlichen, die sich zum Teil schon sehr lange in der Einrichtung engagieren, hatten Ideen, um auch in Corona-Zeiten Angebote machen und Unterstützung leisten zu können. So entstand ein mobiler Mittagstisch, der zwar nicht das Erlebnis eines Mittagessens in Gemeinschaft ersetzen konnte, aber den Gästen neben dem gelieferten Mittagessen einen Austausch mit dem Ehrenamtlichen an der Wohnungstür ermöglichte. „Viele von ihnen sind alleinstehend und haben während der Pandemie nur wenige oder gar keine weiteren Kontakte“, sagte Dagmar Spangenberg-Mades, Leiterin des Zeppelin-Zentrums. „Außerdem ergab sich aus diesen Gesprächen auch oftmals weiterer Unterstützungsbedarf.“

Bei den Besuchen an der Haustür wurde den Ehrenamtlichen auch deutlich, dass sich bei Vielen auf Grund der Isolation eine resignative Stimmung einstellte. Um dagegen zu wirken, wurde mit jedem Mittagessen eine kleine Gabe überreicht, wie zum Beispiel Geschichten zum Nachdenken oder Schmunzeln, Achtsamkeits- oder Fitnessübungen, kleine Rätsel mit Gewinnchancen oder Bildmeditationen. Zum anderen wurde deutlich, dass die Besucher, die früher in der Einrichtung regelmäßig Kontakte und Austausch hatten, jetzt motiviert werden mussten, über Telefon in Kontakt zu anderen zu treten. Mithilfe eines Telefonnetzes nehmen Ehrenamtliche regelmäßig Kontakt zu Besuchern der Einrichtung auf. Tiefer gehende Einzelgespräche mit Besuchern wurden auf Spaziergängen oder in der Beratungsstelle geführt, außerdem hielt Pfarrerin Zuzanna Hanussek Telefonandachten.

„Rückblickend lässt sich sagen, dass die Mitarbeitenden viel Engagement zeigten und zeigen, um die Folgen der Pandemie für die Besucher der Einrichtung abzumildern“, so Spangenberg-Mades, „aber allen wurde auch deutlich, wie wichtig die persönliche Begegnung ist.“

Einige Besucher haben bereits vor der Corona-Pandemie unter psychischen Problemen, wie Angststörungen oder Depression, gelitten. Vor allem bei ihnen haben sich diese Probleme verstärkt. Spangenberg-Mades: „Die wichtige Arbeit war und ist seit Beginn der Pandemie nur durch das großartige Engagement der Ehrenamtlichen möglich. Die geschenkte Zeit und die Unterstützung haben vielen Menschen durch die Krise geholfen. Dies wurde auch durch das Ehrenamtsbüro der Stadt Herne honoriert, die das Engagement mit Landesmitteln förderte.“

Seit Beginn des Jahres 2021 hat die Beratungsstelle im Zeppelin-Zentrum ein weiteres Aufgabenfeld. Die durch Mittel des Landes NRW und des Europäischen Sozialfonds geförderte Einrichtung berät neben Erwerbslosen, prekär Beschäftigten und von Armut Betroffenen nun auch Menschen, die in ausbeuterischen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Dies geschieht in Kooperation mit dem Arbeitslosenzentrum Herne e.V. der Katholischen Kirche,

Einerseits erfordert dieses neue Aufgabenfeld Kenntnisse in Rechtsgebieten über das Sozialrecht hinaus. Diese Kenntnisse – wie Arbeitsrecht, Freizügigkeitsrecht oder Ausländerrecht – müssen durch entsprechende Weiterbildungen erworben werden. Da die Zielgruppe dieser Arbeit vornehmlich aus dem südosteuropäischen Sprachraum kommt, sind entsprechende Sprachkenntnisse bzw. Kooperationen mit sogenannten Sprachmittlern von Nöten. „Die größte Herausforderung ist aber, Kontakt zu den Menschen zu bekommen, die in ausbeuterischen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten“, sagt Dagmar Spangenberg-Mades.  Viele von ihnen wurden in ihren Heimatländern für die Arbeit hier in Deutschland beispielsweise in der Schlachtindustrie geworben. Andere Arbeitsbereiche sind Logistik, Pflege, Gastronomie, Ernte, Bau- und Reinigungsgewerbe. Die Erwartungen der Menschen sind groß und sie hoffen mit der Arbeit in Deutschland auf ein besseres Leben für sich und ihre Familien, die oft weiterhin im Heimatland in menschenunwürdigen Verhältnissen leben. Hier in Deutschland angekommen, stellen sie fest, dass Arbeitsbedingungen, Lohn und Unterbringung nicht mit den Versprechungen übereinstimmen. Trotzdem bleiben sie meist in diesen ausbeuterischen Beschäftigungsverhältnissen, weil sie befürchten, dass sie sonst keine neue Beschäftigung in Deutschland finden und gezwungen sind, wieder in die Heimat zurückkehren zu müssen. Die Möglichkeit Sozialleistungen zu beziehen, ist für diese Menschen weitestgehend ausgeschlossen. Außerdem bedeutet das Einfordern des zustehenden Lohns, von Arbeitsschutzbestimmungen und einer menschenwürdigen Unterkunft viel Mut und Selbstvertrauen gegen einen gut organisierten Arbeitgeber, der seine Mitarbeiter oft auch durch ein System von „Vorarbeitern“ kontrolliert.

Um Betroffene auf dieses neue Angebot der Beratungsstelle aufmerksam zu machen, arbeitet die Beratungsstelle mit anderen Einrichtungen, die dieser Bevölkerungsgruppe ebenfalls Angebote machen, eng zusammen. Ein wichtiger Kooperationspartner ist die Koordinierungsstelle der Stadt Herne, die beispielsweise eine Wohn- und Familienbegleitung anbietet. Mit mehrsprachigen Flyern werden auch Menschen aus Südosteuropa, die zur Sozialberatung in die Einrichtung kommen, über das neue Angebot informiert, da diese erfahrungsgemäß mit ihren Landsleuten gut vernetzt sind. Zukünftig soll auch die zugehende Arbeit in Kooperation mit Gewerkschaften und anderen Akteuren stärker ausgebaut werden, was durch Corona sehr erschwert wurde. Dabei ist zum Beispiel an Wohnorte, Arbeitsstätten oder Parkplätze, wo LKW-Fahrer ihre Ruhepausen machen, gedacht.

Die Inhalte der Sozialberatung im Zeppelin-Zentrum seit Beginn der Pandemie haben sich verändert. Mit Ausbruch von Corona überwogen im SGB II-Bereich die Fälle, in denen es um Aufstockungen oder Bezug von Arbeitslosengeld II nach Arbeitsplatzverlust ging. Dazu kamen Anfragen von verunsicherten Menschen zu den Themen Arbeitslosengeld- und Kurzarbeitergeldbezug.

Mit Beginn der Corona-Pandemie wurde auch der sogenannte Vereinfachte Antrag im SGB II eingeführt, der keine Vermögensprüfung vorsieht und auch Unterkunftskosten oberhalb der Angemessenheitsgrenze zulässt. „In der Zeit der Kontaktbeschränkungen konnten die Anliegen der Klienten gut bearbeitet werden“, sagt Spangenberg-Mades. Seit Ende letzten Jahres ist es leider Realität, dass nicht nur in Herne sondern auch in anderen Kommunen Betroffenen über Wochen und Monate der Zugang zum Leistungsbezug verwehrt wird und das, obwohl sie Unterstützung durch Beratungsstellen oder Anwaltskanzleien haben.“ Betroffen sind vor allem Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen in Beschäftigung, die aufstocken müssen – darunter oft Alleinerziehende, Menschen, die Schwierigkeiten haben, die komplexen Anschreiben der Behörde zu verstehen und besonders auch Menschen mit psychischen Erkrankungen, die dem Anforderungsdruck nicht mehr standhalten können. In der gesamten Corona-Zeit bis zum heutigen Tag ist  der persönliche Kontakt zum Jobcenter nicht möglich. Unterlagen können per Mail, Post oder Scanner im Foyer des Jobcenters eingereicht werden. Immer wieder kommt es vor, dass die Unterlagen nicht eingehen und zum zweiten oder dritten Mal angefordert werden. Es wird auf fehlende und für den aktuellen Leistungsbezug irrelevanten Unterlagen verwiesen, um diesen zu verwehren. Es werden kurze Fristen gesetzt, um beispielsweise Meldebescheinigungen, Arbeitsbescheinigungen, Energielieferungsabrechnungen anzufordern, die in Corona-Zeiten einfacher von Behörde zu Behörde zu erlangen wären. In einem Fall forderte das Jobcenter in einem ersten Schreiben 15 noch fehlende Unterlagen, in einem zweiten Schreiben wurde die Familie informiert, dass nun nur noch drei Unterlagen fehlen. Im dritten Schreiben forderte die Behörde erneut alle 15 Unterlagen. Am Ende dieses ‚Forderungsmarathons‘ steht neuerdings nicht selten ein Versagungsbescheid, der Leistungsansprüche für die Vergangenheit ausschließt, falls die Klienten nicht zeitnah gegen diesen Widerspruch einlegen. Leider handelt es sich aktuell nicht um Einzelfälle, bei denen ganze Familien vom Leistungsbezug ausgeschlossen sind. In einigen Fällen besteht kein Krankenversicherungsschutz. Es entstehen Miet-, Energie- und  andere Schulden. Obdachlosigkeit droht. Vielleicht werden so auch Menschen gezwungen,  eine ausbeuterische Beschäftigung aufzunehmen, gegen die die Beratungsstelle zukünftig vorgehen soll. Dies stellt insbesondere in Corona-Zeiten einen unhaltbaren und nicht hinnehmbaren Zustand dar, auf den  die Beratungsstelle in Zukunft verstärkt öffentlichkeitswirksam aufmerksam machen wird. „Denn Leistungsansprüche müssen zwar geprüft werden“, so Spangenberg-Mades, „aber es besteht in Deutschland das sogenannte Bedarfsdeckungsprinzip und ein Grundrecht auf ein menschenwürdiges Leben und dies hat einen weitaus höheren Stellenwert, als ein eventueller Rückzahlungsanspruch auf Leistungen des Jobcenters.“ DSM